Wäre Wolle gestern erfunden worden, würden sich alle überschlagen vor Enthusiasmus. So außergewöhnlich sind ihre Eigenschaften, daß keine Kunstfaser ihr gleichkommt. Die Natur hatte eben auch sehr sehr lange Zeit, diese Fasern zu entwickeln. Der Mensch verarbeitet sie kaum weniger lange zu Bekleidung.

Wollfaser, Aufbau. Grafik CSIRO_ScienceImage_1054_Wool_Fibre_of_the_gods

Wollfaser, Aufbau. Grafik CSIRO_ScienceImage_1054_Wool_Fibre_of_the_gods

Die Domestizierung von Schafen durch den Menschen begann vor ca. 9-11000 Jahren. Das Wollschaf gibt es seit ca. 8000 Jahren und seitdem wird Schafwolle vom Menschen verarbeitet.

Die letzten Jahrzehnte sind auch im Bereich Bekleidung gekennzeichnet durch eine Dominanz der aus Erdöl gewonnenen Kunstfasern. Vor allem im Bereich der „Funktionswäsche“ haben diese synthetischen Fasern eine Vormachtstellung eingenommen. In den letzten Jahre ist Schafwolle, speziell Merinowolle, wieder auferstanden und hat sich in breiter Fläche als neues Material der Wahl bei Bekleidung etabliert.

Es geht hier nicht um den Vergleich Wolle und Synthetik, auch nicht darum, daß das eine besser sei als das andere. Aber Wolle ist ein sehr komplexes Produkt, da lohnt es sich, näher hinzusehen und das Für und Wider zu erörtern.

Die bekleidungsspezifischen Eigenschaften von Wolle sind u.a. auf den Aufbau der Wollfaser zurückzuführen. Deshalb hier ein kurzer, aber notwendiger Ausflug in das Innere einer feinen Wollfaser. Nur zwei der den Aufbau kennzeichnenden Elemente sind für uns von Bedeutung:

  • die Außenhülle „Cuticula“,
  • der Faserstamm „Cortex“.

Das Wechselspiel dieser beiden Faserteile ist verantwortlich für das Feuchtigkeitsmanagement der Wolle. Die mehrschichtige Außenhülle ist hydrophop, also wasserabstoßend. Sie läßt aber Wasserdampf in den Faserstamm passieren. So ist es möglich, daß Wollfasern in ihrem Innern ca. 30-35% ihres Eigengewichts an Wasser aufnehmen könnenn, ohne daß sich die Wolle nass anfühlt.

Ein weitere, auf dem Faseraufbau beruhende Eigenschaft von Wolle ist ihre mechanische Selbstreinigung. Ganz vereinfacht gesagt sind es im Faserstamm lianenartig miteinander verschlungene Stränge aus zwei verschiedenen Faserarten, die bei Feuchtigkeitsaufnahme und -abgabe unterschiedlich stark quellen. Fest miteinander verbunden versetzen sie die Wollfaser in Bewegung. Durch diese Eigenbewegung der Faser werden auf der Faseroberfläche liegende Schmutzpartikel abgestoßen. Diese Schmutzpartikel verbleiben auch nur auf der Oberfläche, sie können nicht in die Faser eindringen. Wolle verschmutzt dadurch nicht so schnell.

Superfeet woolyWHITE, Einlegesohlen mit Merinowolle

Superfeet woolyWHITE, Einlegesohlen mit Merinowolle; Photo: Superfeet

Aber auch das chemische Selbstreinigungsvermögen der Schafwolle ist bemerkenswert und für ihren Tragekomfort mitverantwortlich. Die hier nicht näher erläuterte komplexe physikalische und chemische Struktur einer Wollfaser ermöglicht es ihr, eine Vielzahl von Chemikalien zu absorbieren oder zu neutralisieren. Ob dies jetzt Salz- oder Schwefelsäure ist, giftige Kohlenstoffverbindungen auf Benzolbasis oder die Inhaltsstoffe von Zigarettenrauch, populär gesprochen „vernichtet“ Wolle diese fremden Stoffe. Wolle stinkt deshalb auch nicht so schnell.

Zum Abschluss noch angemerkt: Wolle ist sowohl schwer entflammbar als auch antistatisch. Am Lagerfeuer brennt ein Funken schnell ein Loch in die teure Plastikkleidung, während Wolle davon unbeeindruckt bleibt. Und wer schon einmal an der Türklinke eine „gewischt“ bekommen hat oder die Haare zu Berge stehen hatte nach dem Ausziehen des Fleecepullovers, weiß auch die fehlende statische Aufladung zu schätzen.

Wolle trägt sich anders

Icebreaker Realfleece 260

Icebreaker Realfleece 260, waschmaschinenfeste Merinowolle; Photo: Icebreaker

Das wichtige zuerst: Wolle puffert. Das bedeutet schlicht und einfach, daß Wolle sehr viel stärker temperaturausgleichendwirkt als andere Materialien. Wie Seide und Daune, so ist auch Wolle in der Lage, eine Überhitzung des Körpers wenn nicht zu vermeiden, so doch erträglicher zu machen. Am einfachsten kann man das beobachten, wenn man aus der Kälte ins Warme, z.B. die Straßenbahn oder ein Kaufhaus kommt. Dafür zu warm angezogen, fängt man sofort an zu schwitzen. Aber die eiweißbasierenden Materialien, wie Wolle eine ist, verringern diese Erscheinung deutlich. Sie sind einfach natürlicher und das muss man selber ausprobieren.

Die Nachteile sind natürlich auch vorhanden, alles hat seine zwei Seiten. Es dauert sehr lange, bis richtig nasse Wolle wieder trocken ist. Die Fasern sind dann nun mal komplett mit Wasser getränkt, das dauert seine (Trocken-)zeit.

Hier besteht ein großer Unterschied zwischen Wolle und Synthetik. Bei ersterer saugt sich irgendwann die ganze Faser voll mit Wasser, bei letzterer verbleibt das Wasser immer zwischen den Fasern. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf das Tragen draußen in der Natur. Es lohnt sich, die einzelnen Bekleidungsschichten und ihre Materialien gezielt auswählen.

Leichter Nieselregen z.B. stellt für die wasserabweisende Oberfläche von außen getragener Wolle überhaupt kein Problem dar, der Träger dieser Bekleidung wird trocken und wohl temperiert unterwegs und die Wolle selber auch nur oberflächlich nass sein.

Auf Tagestour nassgeregnete Wollbekleidung – und dafür muss es richtig stark und lange regnen – läßt den Träger derselben trotzdem nicht „im Regen stehen“ und kann später zu Hause im Warmen getrocknet werden. Unterwegs geniest man aber ihre Vorteile des besseren Tragekomforts gegenüber wasser- und luftdichter Kleidung aus Kunststoff.

Wolle als Überbekleidung ist nicht grundsätzlich schlecht. Aber der moderne Mensch hat nun mal Angst, von außen auch nur einen Hauch Feuchtigkeit zu erfahren. Deshalb (und dank der Marketingbemühungen der Bekleidungsindustrie) wird auch sofort, schon vor dem leichtesten Nieselregen, zur komplett wasserdichten und synthetischen Bekleidung gegriffen. Motto: Lieber ständig von innen feucht als gelegentlich von außen ein klein bischen Wasser abbekommen.

Auf mehrtägiger Zelttour sieht das dann schon anders aus. Während die tragefeuchte Unterwäsche aus Wolle auch hier noch trocken zu kriegen ist, – (Tip: Eine trockene Lage auf der Haut und die feuchte Lage darüberziehen, so bekommt man leichte Wollbekleidung relativ problemlos trocken) – läßt sich dies mit richtig durchnässter wollener Außenbekleidung nicht mehr bewerkstelligen. Wo es nass wird, externe Wärmequellen und trockene Luft zum Trocknen fehlen, ist Wolle fehl am Platz. Je mehr Regen, je weiter außen das Kleidungsstück getragen wird und je weniger Möglichkeiten zum Trocknen, desto sinnvoller wird Synthetik.

Wolle wird anders gepflegt

Pataonia Merino Hoody

Pataonia Merino 3 Hoody, chlorfrei behandelte Merinowolle; Photo: Patagonia

Erst mal: Das bekannte „Igitt ein Schweißtröpfchen. Schnell alles waschen, bevor es anfängt zu müffeln“ ist hier fehl am Platz. Bei Wolle ist es nicht mit dem gewohnten und pflegeleichten Waschen-Schleudern-Anziehen getan. Zum einen bestimmt die Art der Vorbehandlung der Wolle, wie sie gewaschen werden kann. Zum anderen ist bei Wolle die Trockenzeit immer sehr viel länger als von den Synthetiks her gewohnt. Denn der Trockner ist verboten, leichtes Anschleudern ist akzeptabel, aber ab dann muss man warten.

Der Grund hierfür liegt auch wieder in der Struktur der Wolle. Die Wollfasern mit ihren feinen Schuppen auf der Außenhülle neigen unter dem Einfluß von Feuchtigkeit, Wärme und Reibung dazu, sich ineinander zu verhaken, zu verfilzen und natürlich einzulaufen. Eine problemlose Wäsche in der Machine ist daher nur möglich, wenn dies verhindert werden kann.

Die etablierte Methode, mittlerweile nur noch in Ländern mit laxeren Umweltstandards durchführbar, ist die Behandlung der Wolle mit Chlor. Dadurch werden die Schuppen entfernt und mit einer zusätzlichen, ganz dünnen Kunstharzbeschichtung der Fasern wird das fertige Kleidungsstück aus Wolle voll waschmaschinenfest: Nur so ist es möglich, Wollkleidung zu bekommen, die mit anderer Wäsche zusammen einfach so in die Waschmaschine gepackt werden kann. So behandelte Wollwäsche trägt sich immer noch sehr gut und ist einfach zu pflegen. Aber sie ist weit von ihrem natürlichen Ursprung entfernt, darum und um die Vorbehandlung und ihre Auswirkungen sollte man wissen.

Eine umweltschonendere Alternativegibt es auch, nämlich die Behandlung mit starken Oxidationsmitteln wie z.B. Wasserstoffperoxid und Ozon. Outdoorhersteller wie z.B. Patagonia nutzen diese Methoden zur Herstellung maschinenwaschbarer Wollbekleidung.

Die dritte, etwas ausgefallenere Methode ist das absichtliche Verfilzen und Schrumpfen der Wolle während der Produktion. Die Fasern des fertigen Wollgestricks verhaken sich ineinander, das Wollgestrick verdichtet sich und schrumpft. Durch diesen „Walken“ genannten Prozess entstehen feste und verdichtete Stoffe ohne den Einsatz von Chemie. Natürlich ist so ein Wollstoff dann nur als Überkleidung einsetzbar. Die Firma Mufflon produziert auf diese Weise umweltverträglich ihre Bekleidung aus Wolle.

Wolle ist ein fantastisches Material für Outdoorbekleidung und außerhalb unserer winzigen, marketinggetriebenen und kurzlebigen Konsumwelt ist sie auch nie in Vergessenheit geraten. Neue Verarbeitungsmethoden und angenehm zu tragende, ultrafeine Merinowolle haben den traditionellen Einsatzbereich erweitert und neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnet. Wir haben die Wahl, wann wir Wolle tragen und wann Synthetik, wann wir uns die Vorteile welcher Faser zunutze machen. Mehr Auswahl gab es nie.

Empfohlene Onlineshops:

 

Wolljacke von Mufflon, aus der Nähe betrachtet

Wolljacke von Mufflon, aus der Nähe betrachtet

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