Der Keen Wanderer Mid ist weder Stiefel noch Halbschuh. Er sieht aus wie ersterer und trägt sich (fast) wie letzterer. Das macht sein Schaft, der an den Seiten hochgezogen und hinten tief ausgeschnitten ist. Ansonsten ist er ein ganz normaler „european made“ Keen. Breit und geräumig, mit der Keen-typischen verstärkten Zehenkappe, preisgünstig und funktionell.

Test Keen Wanderer Mid, weder Halbschuh noch Stiefel

Test Keen Wanderer Mid WP. Zehn Monate später

Seit Februar ist der Keen Wanderer Mid jetzt im Gebrauch. Zeit genug, um eine erste Bilanz zu ziehen. In mancher Hinsicht hat dieser Stiefel überrascht, in anderer bereits vorhandene Erkenntnisse bestätigt. Die Schaftkonstruktion hat sich als sinnvoll erwiesen, das überraschte. Sie schränkt den Einsatzbereich im Extremen ein, bietet aber andernorts deutliche Vorteile. Bei der Sohle gibt es Licht und Schatten, das hat nicht überrascht. In mancher Hinsicht Top, in anderer wieder mit Defiziten behaftet. Aber der Keen Wanderer Mid ist ein Stiefel, über den es sich lohnt, nachzudenken.

Test Keen Wanderer Mid, normale Wanderungen

Test Keen Wanderer Mid WP. Passform und Material

Dieser Stiefel passt, wie alle anderen aus der „european made“– Serie von Keen, bevorzugt an eher kräftige Füße. Allerdings nicht, wie früher, mit richtig viel Platz. Vorne immer noch angenehm breit, aber leider nicht mehr so hoch. An Ferse und Knöchel sitzt eher schmal und fest. Ein ausgewogener Kompromiss für den mittleren bis breiten Fuß, aber andere Hersteller bieten in manchen Modellen deutlich mehr Raum.

Das Obermaterial ist der übliche, funktionale Mix aus Leder und Nylon. Er vereint geringes Gewicht und Robustheit. Innen ist der Keen Wanderer Mid mit einem wasserdichten Futter auf Basis der KEEN.Dry-Membran ausgekleidet. Dicht waren die Stiefel übrigens in den letzten neun Monaten und im von der Physik vorgegebenen Rahmen auch atmungsaktiv. Will heißen, bei Temperaturen jenseits der +20° Celsius wurde es innen drin schweißfeucht. Ganz normal für einen solchen Schuh.

Test Keen Wanderer Mid, Schafthöhe im Vergleich

Test Keen Wanderer Mid WP. Der Schaft

Ungewohnt ist der Schaft. Er sieht ganz normal aus, ist aber an der Ferse etwas tiefer ausgeschnitten. Außerdem verfügt er oberhalb der Tiefzughaken nur noch über ein Ösenpaar. Das sorgt in der Längsachse für eine Bewegungsfreiheit, die fast dem eines Halbschuhs entspricht. An den Seiten dagegen bietet er den Knöchelschutz eines Stiefels, nicht aber auch dessen Seitenhalt. „Semi mid-cut“ nennt Keen dieses Design.

Es verbindet den Vorteil des Halbschuhs, seine Bewegungsfreiheit im Sprunggelenk, mit Vorteilen eines Stiefels. Neben dem stark reduzierten Umknickschutz ist dies vor allem der Wetterschutz für den Knöchel. Der hohe Schaft verhindert das überaus lästige Eindringen von Dreck und Steinchen in den Schuh, wie man es vom Halbschuh her kennt. Zum anderen schützt er diesen empfindlichen Bereich vor Auskühlung und Nässe. Da ist der Keen Wanderer Mid wieder ein vollwertiger Stiefel: im Regen und nassen Gelände schützt er bis oben hin.

Test Keen Wanderer Mid, die Gummimischung packt es

Test Keen Wanderer Mid WP. Die Sohle

Die Sohlenkonstruktion als solche ist Top. Ihr Herzstück, die direkt angespritzte PU-Zwischensohle, macht den Keen Wanderer Mid so einzigartig. Sie dämpft den Auftritt auf schön zäh-elastische Weise und macht so die härtesten Forst- und Wirtschaftswege erträglich. Diese permanenten, feinen Erschütterungen, die die Beine müde werden und schmerzen lassen, sie werden sauber weggefiltert. Ideal z.B. auf Pilgerwegen mit ihren nicht enden wollenden Asphaltstrecken. Wer mehr Komfort braucht, trägt Laufschuhe.

Das Profil ist auf lockerem und/oder nassen Boden nicht das tollste. Da fehlt der Biss, man schmiert schnell weg, vor allem bergab. Einen ausgeprägten und scharfkantigen Absatz bräuchte es und gröbere Profilblöcke. Mit verändertem Gehstil ist das beherrschbar, aber hier wurde Potenzial verschenkt.

Im Gegensatz dazu ist die Gummimischung exzellent. Dies zeigte sich auf Pilzsuche in einem weglosen Waldstück mit Hanglage. Ein nasser Standort, der Boden bedeckt mit vermoderndem Totholz und Moosen. Zwei Stunden lang wurde dieser Hang im Zickzack abgegangen. Auf diesem anspruchsvollen und glitschigen Untergrund leistete sich der Keen Wanderer Mid keine Ausrutscher, der Grip war gut.

Test Keen Wanderer Mid, auch auf dem Fahrrad ein guter Schuh

Test Keen Wanderer Mid WP. Auf dem Fahrrad

Die Kombination aus Bewegungsfreiheit im Sprunggelenk und der Schutz desselben durch den hohen Schaft ermöglichen einen vielseitigen Einsatz über das Wandern hinaus. Der frühe Wintereinbruch mit Dauerregen bei Temperaturen knapp über 0°C hat das in einem ganz anderen Bereich gezeigt: dem Radfahren. Da braucht es einen wasserdichten Schuh, der beim Pedalieren nicht stört. Das wäre normalerweise ein Halbschuh, aber dann werden die Knöchel nass und kalt.

Der wasserdichte Keen Wanderer Mid hat da überraschend eine Lücke gefüllt. Der vorne und an den Seiten hochgezogene Schaft schützt vor den Elementen und hält warm. Seine uneingeschränkte Bewegungsfreiheit nach vorne und hinten erlaubt einen störungsfreien Bewegungsablauf. Die Sohle ist fest auf dem Pedal und verteilt den Druck großflächig. Die PU-Dämpfungsschicht tut dann ein übrigens. Der Halt auf dem Pedal ist dank Gummimischung und Profil auch einwandfrei. Das ist ein toller Schuh zum Fahrradfahren bei Schlechtwetter.

Test Keen Wanderer Mid WP. Ein Fazit

Der Einsatzbereich des Keen Wanderer Mid lässt sich genau definieren. Seine Vorzüge und Nachteile machen es leicht.

Auf hartem Boden ist er phantastisch. Den durch die zähelastische Dämpfung der PU-Zwischensohle erreichten Tragekomfort kann kein anderer Wanderstiefel toppen. Deshalb empfiehlt er sich besonders für Pilger, z.B. nach Santiago del Compostela. Diese klassischen Pilgerwege sind im Prinzip Wirtschaftswege, steinig, hart und qualvoll für die Füße. Mit dem Keen Wanderer Mid oder einem anderen Modell mit der gleichen Sohlenkonstruktion läuft es sich da schon angenehmer.

Generell gilt für den Keen Wanderer Mid: eher moderates Gelände, nicht ausgesetzt, schlammige Hänge sind nicht so toll. Genusswandern in den Mittelgebirgen zum Beispiel, dafür ist er prädestiniert. Er orientiert sich eben näher am Halbschuh denn am Stiefel. Das ist nicht verkehrt, man muss ja nicht immer Hardcore unterwegs sein.

Der Keen Wanderer Mid hat sich schnell zu einem der Lieblinge entwickelt. Wenn irgendetwas nicht so spezielles anstand, dann ging der Griff zu ihm. Denn er deckt in der Mitte der alltäglichen Outdooraktivitäten so ziemlich alles ab. Nicht perfekt, nicht so wie ein spezieller Schuh für den jeweiligen Teilbereich, aber eben überall verlässlich. Die dem Design entspringenden Einschränkungen muss man halt berücksichtigen, aber das ist bei allen Gebrauchsgegenständen der Fall.

Der Keen Wanderer Mid ist auf den ersten Blick ein etwas ungewöhnlicher Wanderschuh. Auf den zweiten einer mit vielen Möglichkeiten, deutlichem Komfortvorsprung und wenigen Einschränkungen. Er trägt sich im besten Wortsinn unauffällig, das ist sein großer Vorteil.

Den Keen Wanderer Mid gibt es für Männer und Frauen und in verschiedenen Farben. Er kostet € 159,95 (UVP).

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